hallo
DGB

"DAS IST UNSER HAUS..."

Ausstellung zum 80. Jahrestag der Zerschlagung der Gewerkschaften durch die Nationalsozialisten

Ausstellung
Ausstellung im städt. Museum Goslar vom 28.02. - 02.06.2013:

Nationalsozialistische Machteroberung in der Stadt Goslar

Vorwort

"Das ist unser Haus…"
Zerschlagung der Gewerkschaften durch die
Nationalsozialisten vor 80 Jahren

Konzept der Ausstellung

"Das ist unser Haus …"Diese Aussage stammt aus einem Zeitzeugeninterview. Dr. Jochen-Thomas Werner führte es 1992 im Rahmen seiner Arbeit ‚Zur Geschichte der Arbeiterbewegung im Wirtschaftsraum Goslar 1848 bis 1949'.

Dieser besagte Zeitzeuge war dabei gewesen, als am 7. März 1933 der erste Angriff der SA auf das damalige Gewerkschaftshaus unter dem Vorwand erfolgte, dass es Waffen und Munition im Hause geben sollte. Dieser Angriff wurde noch einmal abgewehrt. Die von der SA bereits auf dem Dach gehisste Hakenkreuzfahne wurde von einem mutigen Dachdecker heruntergeholt und verbrannt. Die schwarz-rot-goldene Fahne der Republik wurde wieder gehisst.

Einen Tag später erfolgte dann doch die Besetzung. Haus und Vermögen der Gewerkschaften wurden beschlagnahmt.

1933 machten die Nationalsozialisten den 1. Mai zum Feiertag der nationalen Arbeit. Der damalige Vorsitzende des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes, Theodor Leipart, rief die Mitglieder dazu auf, sich an den Demonstrationen zu beteiligen, die durch die Nationalsozialisten organisiert wurden. Dies wurde großenteils auch befolgt.

Es gehört zur Tragik unserer Geschichte, dass auch Gewerkschaftsfunktionäre anfangs geglaubt hatten, sie könnten mit den Nazis zum Wohl der Arbeiterschaft zusammenarbeiten.

Am 2. Mai 1933 wurden die Gewerkschaften verboten. Wer sich immer noch wehrte, wurde verfolgt, misshandelt, eingekerkert. Die Gewerkschaften und ihr Vermögen wurden beschlagnahmt und gingen in die Deutsche Arbeitsfront über.

80 Jahre ist das jetzt her.

Oft wird gesagt: So langsam ist es doch mal gut mit dem Nationalsozialismus.

Wir meinen, dass das Thema, gerade anlässlich der NSU-Morde und des Umgangs der Geheimdienste und Behörden damit, sehr aktuell ist.

Die von den Nationalsozialisten propagierte Betriebsgemeinschaft, in der es Führer und Gefolgschaft gibt, schließt demokratische Rechte im Betrieb, also Betriebsräte aus. Sie schließt Gewerkschaften aus.

Immer haben sich Menschen zusammengeschlossen, um ihren Interessen Gewicht zu verleihen. Gewerkschaften sind die Interessenvertretungen der abhängig arbeitenden Menschen. Die Tarife, die gezahlt werden, die Urlaubstage, die wir haben, das Urlaubsgeld, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Erschwerniszulagen, Schichtzulagen, Verbesserung des Unfallschutzes.

Vieles, was heute als selbstverständlich hingenommen wird, ist Ergebnis langwieriger Verhandlungen und auch von Streiks.
Wirtschaftl.
Lage

Die Harzregion in der Krise

Nährboden für die Ideologie
der Nationalsozialisten
Im Februar 1931 waren 5 Millionen Menschen im Deutschen Reich ohne Arbeit, im Februar 1932 waren es schon 6,2 Millionen.

Auch der Harz blieb nicht von der Krise verschont.
Die Haushalte der Gemeinden waren durch die Krisenjahre seit 1930 aufs Äußerste angespannt. Die Steuereinnahmen sanken bei gleichzeitiger Belastung der Ausgabenseite durch die Sozialfürsorge.

Die Gemeinde Langelsheim war zahlungsunfähig, Clausthal-Zellerfeld stand vor dem Ruin, nachdem die Gewerbesteuereinnahmen von 218.000 RM 1930 auf 40.000 RM 1932 gesunken waren.

Goslar war direkt von der Krise im produzierenden und verarbeitenden Gewerbe nicht so stark betroffen. Viele Einwohner waren im öffentlichen Dienst, Handel und Verkehr beschäftigt. Kleingewerbe und kaufmännischer Mittelstand fürchteten aber um ihre Kunden. Denn auch die Angestellten und Beamten in den Behörden der Stadt hatten erhebliche Gehaltskürzungen hinnehmen müssen.

Im Oberharz konnten sich die Menschen noch nicht einmal mehr beim Holzschlag Geld verdienen, weil die Bergwerke stillgelegt waren.

Die kleine Gemeinde Herzog-Juliushütte meldete bei 210 Einwohnern 178 Arbeitslose einschließlich der Angehörigen.

Die von der Geschäftsleitung der U.H.B.H.W im Mai 1932 angekündigte Stilllegung des Rammelsbergs und der Hütten bei Entlassung von ca. 1.700 Beschäftigten hatte die Bevölkerung in Unruhe versetzt.

Der Anteil der Sozialausgaben am städtischen Haushalt war hier von 1931 auf 1932 von 13 auf fast 25 Prozent gestiegen. Für 1933 wurden 32 Prozent einkalkuliert. 750 Erwerbslose waren im Sommer 1933 auf städtische "Wohlfahrt" angewiesenen.

In diesem Artikel der sozialdemokratischen Harzer Volkszeitung wird das Arbeitsamt als "Folterkammer" angeprangert. Der Bürokratismus der Amtsstuben, die ständig veränderten Bestimmungen und die Schikanierung der Arbeitslosen werden hier ausführlich beschrieben.

"Zahllose Ueberstunden wurden und werden von den Angestellten der Arbeitsämter und Wohlfahrtsämter geleistet. Bezahlung? Danach fragt in den meisten Fällen kein Mensch mehr. Wer unter dem Druck der hungernden Masse steht, schützt sein Leben am besten, wenn der die am längsten wartenden Arbeitslosen befriedigt, d.h. wenn er ihnen sagen kann, dass sie die Unterstützung erhalten oder welche Gründe zur Ablehnung führten. Die Massen sollen erzogen werden! ...
3, 4, 5, 6, ja 10 Wochen und noch länger warten die Arbeitslosen. Wovon sollen sie leben?

Die Wohlfahrtsämter müssen einspringen. Sie tun es zwar, aber wer kennt diesen Leidensweg der Hilfebedürftigen? Wer Jahre hindurch diesen Zustand beobachtet hat, ist weiß Gott nicht erstaunt über die Radikalisierung so vieler Menschen. Sie sehen die Zustände als eine gewollte Schikanierung.

Die Arbeiterbewegung kämpft um Lohn und Arbeit


Die Arbeiterbewegung wusste sehr genau (s. Wahlplakat, nächste Seite, der SPD zu den Reichstagswahlen Juli 1932, Arbeiter auf dem Hakenkreuz, Quelle: Friedrich-Ebert-Stiftung), was mit Hitler auf sie zukam. Dennoch reichte ihre Kraft nicht aus, um die nationalsozialistische Herrschaft zu verhindern.

Ein Grund dafür war sicher die unsichere soziale Lage der Arbeiterschaft. Sie wurde gedrückt durch eine hohe Arbeitslosigkeit, den Hunger, unter dem die oft kinderreichen Familien litten, und nicht zuletzt durch die Schikane der Ämter.

Das Bürgertum war in den 20er Jahren stets skeptisch gegenüber der Republik geblieben. Mit der Krise seit 1930 wandelte sich diese Skepsis in Feindschaft.

Der Nationalismus überwölbte den Lokalchauvinismus, der übrigens auch stark in der sozialdemokratischen Arbeiterschaft verankert war. Die Goslarsche Zeitung beförderte diesen Prozesses mit ihrer Parteinahme für die Nationalisten.
Die lokale NSDAP war Nutznießer dieser Stimmung und konnte von den Abstiegsängsten des sich ausgebeutet fühlenden Mittelstandes profitieren, der in Goslar stark vertreten war. Zudem konnte sich die NSDAP propagandistisch als Vertreterin der "gemeinsamen" Interessen von Stadt, Bergbauund Hüttenkapital und Arbeitern hervortun.

Unter der NS-Herrschaft wurden die seit 1931 eingeführten Arbeitsbeschaffungsprojekte zum Zwang für Arbeitslose und Unterstützungsempfänger. Im gesamten Arbeitsamtsbezirk (Landkreis Goslar) waren zum 01.12.1933 916 Mann zu öffentlichen Arbeiten zwangsverpflichtet. In Goslar selbst wurden etwa 170 Leute zu städtischen Bau- und Sanierungsarbeiten herangezogen. Diese Maßnahmen schufen Beschäftigung, aber keine Arbeit, von der man leben konnte.

Mit der flächendeckenden Einführung des Arbeitsdienstes im Frühjahr 1934, dem beginnenden Umbau- und den Sanierungsmaßnahmen am Rammelsberg sowie dem ab 1935 laufenden massiven Aufrüstungsprogramm für den Krieg nahm die Beschäftigung in der Region zu.

Betriebsschließungen und Entlassungen





Die Harzregion mit ihren wirtschaftlichen Schwerpunkten Bergbau, Hütten und Chemieindustrie war von der Wirtschaftskrise stark betroffen:

1930:
Stilllegung des Kaliwerks Vienenburg: 450 Arbeiter wurden arbeitslos. Schließung des Bergwerksbetriebs in Clausthal-Zellerfeld: 750 Arbeiter verloren ihre Stellung.

1931:
Entlassung von 475 Arbeitern durch die Unterharzer Berg- und Hüttenwerke (U.H.B.H.W.); Lohnkürzungen um 20% für die verbliebenen Belegschaften

1932:
  • Schließung der Sophienhütte in Langelsheim.
  • Schließung der Gruben "Friederike" und "Hansa". 300 Leute verloren in Bad Harzburg ihre Arbeit.
  • Die Papier- und Holzstoffindustrie mit früher 350 Beschäftigten lag vollständig still.
  • Die Chemische Industrie mit ehemals 1.800 Arbeitern und Angestellten beschäftigte nur noch etwa 400 Personen.
  • Das Baugewerbe mit etwa 1.500 Berufstätigen war fast ohne Arbeit.
  • Die Zahl der Beschäftigten in den sonstigen Industrie- und Erwerbszweigen (Zuckerindustrie, Holzindustrie, Kalk- und Zementindustrie, in Steinbrüchen und in der Forstwirtschaft) sank von 800 auf 200.
  • Die Arbeiterbewegung wusste sehr genau, was mit Hitler auf sie zukam.
    Rechtes finden Sie eine Galerie mit weiteren Wahlplakaten

    Propaganda
    in der GZ

    Die Goslarsche Zeitung (GZ) im Frühjahr 1933

    Propagandawelle der
    Nationalsozialisten


    Zur Mobilisierung der Bevölkerung ist Propaganda nötig. Die funktionierte damals im Wesentlichen über Zeitungen, Flugschriften, öffentliche Versammlungen und Kinofilme. Das Radio war noch wenig verbreitet.

    Im Frühjahr 1933 waren die propagandistischen Mittel der NSDAP noch begrenzt. In Goslar kursierten das NSDAP-Zentralorgan Völkischer Beobachter und die Harzwacht als Regionalbeilage des Parteiorgans Niedersächsische Tageszeitung aus Hannover. Spätestens seit dem Frühjahr 1932 wurde die bürgerlich-deutschnationale Goslarsche Zeitung inhaltlich zu einem Sprachrohr der NS-Bewegung. Mit einer Auflage von etwa 9.000 Exemplaren war sie das entscheidende Medium der Stadt und Umgebung.
    Wir dokumentieren und kommentieren hier einige Schlagzeilen und Artikelausschnitte.

    "Hakenkreuzfahnen und Schwarzweißrote Fahnen an den Häusern … Der Kampf geht weiter um Deutschlands Freiheit und Aufstieg, das war auch der Sinn der Worte, welche Kreisleiter Huxhagen gestern Abend auf dem Markte zu den Braunhemden, zu der SA und SS von Goslar und Jerstedt sprach" ...

    "Die neue Goslarer Hilfspolizei"
    Um der SA und SS quasistaatliche Gewalt zu verleihen, wurden aus ihren Reihen Männer für die Hilfspolizei rekrutiert. Leiter der Truppe von 32 Mann war der Zeitungsverkäufer und SA-Sturmbannführer Franz Kowalaczek. Die SA nahm so vollkommen legal an Verhaftungsaktionen teil. Einschüchterung, Prügel und Drohungen gegen Andersdenkende waren ihre Aufgaben.

    Hämeartikel zur Vertreibung von Hans Pasch, dem Schriftleiter der Harzer Volkszeitung:


    "Der ,Rote Heinrich' erbleichte. Herr Pasch, der Rote Heinrich vom Rammelsberg', der Redakteur der Harzer Volkszeitung (HVZ - war die Zeitung der SPD), hatte gestern ein böses Erlebnis. Auf dem Bahnhof wurde er von SA-Leuten, die er früher oft genug beschimpft hatte, aufgegriffen und zum Kaisersaal gebracht. Dort nahm man ihm einen Revolver ab. Der ,Rote Heinrich' erblasste bis zu den Knien, als er sich in der Gewalt der Braunhemden sah. Man ließ ihn unbehelligt laufen, wohl weil er keine Heldenfigur machte, der Politik abschwor und Goslar verlassen musste."

    Hans Pasch hatte in den vergangenen Jahren mit seinen entlarvenden Artikeln und Glossen unter der Rubrik "Der Scheiterhaufen" den Zorn der Nazis auf sich gezogen. Unter Androhung von Gewalt flieht er ins dänische Exil.
    "Fröhliche Ostern …. Des deutschen Volkes Auferstehen"
    Von dem sich als Chefideologen der NS-Bewegung andienenden GZRedakteur Dr. Gillen wird das höchste Fest der Christen, die Auferstehung Jesu, als Volksneugeburt umgedeutet.
    Meinungs
    Freiheit

    Das Ende...

    ...der Meinungsfreiheit.

    Die Opposition wurde in die Illegalität gedrängt. Hinterzimmer von Gaststätten dienten oft als Treffpunkt von Gewerkschaftsmitgliedern sowie Mitglieder von KPD und SPD. Hier wurden Flugblätter entworfen und vervielfältigt.
    Ermächtigungs-
    gesetz

    Aus den Anzeigenseiten der GZ



    "Mitglieder der SPD. und KPD. gegen Vorzeigung ihres Ausweises freier Eintritt." Besonders gern präsentierten die Nationalsozialisten Überläufer auf ihren Veranstaltungen.
    Kurz vor den Wahlen häufen sich die Veranstaltungen der NSDAP. Auf dem Marktplatz und dem Jakobikirchhof wird mit Lautsprechern die Rede Adolf Hitlers übertragen. Im Deutschen Haus in Hahnenklee gibt es Tanz am 3. März 1933. Ein "Deutscher Abend" mit musikalischer Begleitung durch die Stahlhelmkapelle, Ortsgruppe Goslar ...
    Auschnitt der Reichstagsrede vom 21.03.1933 zum "Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich"

    Unser Haus

    Ein Haus der Solidarität

    Geschichte des
    Gewerkschaftshauses in Goslar

    Ein Haus der Solidarität

    Geschichte des
    Gewerkschaftshauses in Goslar

    1919 zog nach längerer Suche nach einem geeigneten Gebäude die Sozialdemokratische "Harzer Volkszeitung" (HVZ) in die Bergstraße 6 ein. "Als sichtbares Zeichen der Verbundenheit und des Wesens der Arbeiterbewegung wurde die Firma damals schon "Partei89- und Gewerkschaftshaus Goslar und Harzer Volkszeitung" genannt." (HVZ v. 26.06.1926, zitiert nach Dr. Jochen-Thomas Werner, Zur Geschichte der Arbeiterbewegung im Wirtschaftsraum Goslar 1948 – 1949.)



    Ab 1920 zogen die Büros der größeren Gewerkschaften ein. Ab 1921 konnten in dem Haus Versammlungen abgehalten werden.
    Zur feierlichen Einweihung waren am 26.06.1926 viele offizielle Gewerkschaftsvertreter aus Stadt, Land und Reich vertreten, sowie der Magistrat der Stadt Goslar.

    Die Finanzierung des Hauses war wg. der Wirtschaftskrise nicht ganz unproblematisch. "Doch zur Beruhigung unserer Gegner wollen wir gleich vorweg verraten, dass es keine Judengelder, wie da und dort behauptet wurde, sind, sondern Arbeitergroschen, welche durch die gewerkschaftlichgenossenschaftliche Volksversicherung als Darlehen gegeben wurden." (Zitat s.o.) Bedenkenswert, dass hier im Artikel der HVZ Juden diskriminiert werden.

    Sehr gut besucht waren die kulturellen Veranstaltungen in der Gaststätte. Damals waren Radios nicht sehr verbreitet.

    Wechselvolle Geschichte des Hauses
    Bergstraße Nr. 6

    1919:

    Kauf und Nutzung durch die sozialdemokratische "Harzer Volkszeitung"

    26.Juni 1926:

    Einweihung als Partei- und Gewerkschaftshaus; seither Sitz der SPD und des ADGB

    1933:

    Ein Blick in das Goslarer Adressbuch von 1933 zeigt, dass neben dem Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund (ADGB, Ortsausschuss Goslar) und der HVZ mit ihrem Geschäftsführer Wilhelm Schacht, folgende Gewerkschaften in der Bergstraße 6 untergebracht waren: Fabrikarbeiterverband (Bezirksverein Goslar) und Bauarbeiterverband (Bezirksverein Goslar).
    Das Versammlungslokal firmierte unter "Gastwirtschaft Partei- und Gewerkschaftshaus". Neben dem Gewerkschaftssekretär Wilhelm Sander wohnten in dem Haus noch der Dachdecker Georg Bieritz, der Ökonom Wilhelm Meier und der Darmhändler Albert Peters.

    7. März 1933:

    Nazi-Überfall auf das Gewerkschaftshaus; Hakenkreuzfahne wird gehisst. Dachdeckermeister Wilhelm Brandes holt sie vom Dach, wirft sie auf den Hof. Die Verbrennung der Flagge führt zu einer Prügelei zwischen Gewerkschaftgern und Nazis. Danach ergebnislose Polizeidurchsuchung.

    8. März 1933:

    SA, SS-Kräfte aus Braunschweig besetzen und durchsuchen das Gewerkschaftshaus, Angeblich wird Munition gefunden – wahrscheinlich ein Vorwand zur Schließung des Hauses.

    10. März 1933:

    Kommunisten aus Dörnten und Vienenburg versuchen zum Gewerkschaftshaus vorzudringen, werden aber von Polizei und SA zurückgedrängt. In einer nächtlichen Razzia verhaftet die SA 11 Kommunisten und Sozialdemokraten. Die Goslarer Gewerkschaften leisten keinen weiteren Widerstand.

    4. Mai 1933:

    Der Staatskommissar für die Goslarer Gewerkschaften, Pg. Kaiser, beruft alle Gewerkschaftsfunktionäre und –sekretäre ins Gewerkschaftshaus ein, um ihnen die Gleichschaltung der Gewerkschaften mitzuteilen.
    "Alle Gewerkschaftsangestellte, falls sie Ihre Arbeit niedergelegt haben, setzen dieselbe unverzüglich fort. Weigerung bedeutet Sabotage gegen die nationale Regierung und wird dementsprechend geahndet. Zusammenkunft aller Gewerkschaftssekretäre, auch die ehrenamtlich arbeiten, am Donnerstag, abends 8 Uhr im Gewerkschaftshaus, Bergstraße. Kaiser, Staatskommissar des Gewerkschaftshauses in Goslar."

    10. Mai 1933:

    Beschlagnahmung des Gewerkschaftshauses durch Kaiser.

    25. Mai 1933:

    Die NSBO fordert die Entfernung der noch verbliebenen Gewerkschaftsführer Beyer, Brennecke und Weid, die noch im Gewerkschaftshaus ein- und ausgehen. Einige Gewerkschaftsführer kommen in Konzentrationslager. Ein paar Mitglieder des Reichsbanners halten die Organisation noch bis 1935 informell aufrecht.
    Einblicke in die Adressbücher nach 1933 geben Aufschluss über den für die Gewerkschaftsmitglieder und für die Mitglieder der SPD zeitweise sicher schmerzhaften Werdegang.

    1934:

    Die "Harzwacht" hat sich der Räume bemächtigt. Dieses "Kampforgan für den Nationalsozialismus im Oberharz" war von Hans Pasch, dem ins Exil vertriebenen Schriftleiter der HVZ, stets als "Kloake" verlacht worden.

    Im Haus befindet sich nun auch die Kreisleitung der Deutschen Arbeitsfront (DAF) mit den ihr zugeteilten vormaligen Gewerkschaftsgliederungen wie Baugewerbe, Graphisches Gewerbe, Fabrikarbeiterverband, Getränke- und Nahrungsmittelgewerbe, Verband der öffentlichen Betriebe.

    Die Wohnungen wurden bis auf eine neu vermietet.

    16. September 1935:

    Auflösung der Ortsgruppe Goslar des Reichsbanners durch übrig gebliebene Mitglieder. Die Mitgliederkartei wird verbrannt.

    1936:

    Neben der DAF ist nun auch das Sozialamt in der Bergstraße 6 untergebracht, außerdem das Amt für Berufserziehung, das Frauenamt, die Rechtsstelle und auch die NS-Gemeinschaft "Kraft durch Freude".

    1938:

    Alle oben genannten Institutionen haben das Haus wieder verlassen. Es gibt jetzt dort eine Buchdruckerei, das Tierzuchtamt der Landesbauernschaft Hannover und den Verband der Harzviehzüchter. Die "Feldschlößchen Brauerei" Braunschweig betreibt die Gaststätte unter dem neuen Namen "Zum Ritter Ramm". 11 Wohnungen sind nun im Haus vermietet.

    1942:

    In diesem Jahr wird wieder die DAF, Ortsgruppe Kaiserpfalz, als Mieterin erwähnt ebenso wie die NSDAP Ortsgruppe Kaiserpfalz.

    Aus den Jahren 1943 – 1947 existieren keine Adressbücher.

    1948 :

    Neben der Gaststätte "Ritter Ramm" und dem alten Wirt Karl Belka, der im Hinterhaus wohnt, ist nun neben den ganzen Mietern der DGB in das Haus eingezogen. Die genaue Bezeichnung ist "DGB Goslar und Umgebung", Geschäftsstelle Goslar".

    1952:

    Der DGB Kreisverband ist jetzt in der Tappenstraße 14 zu finden.

    1955:

    Die Braunschweiger Presse ist in die Bergstraße 6 eingezogen, ebenso wie eine Grundstücksverwaltungs GmbH und die SPD Stadt und Landkreis. Das Gasthaus "Ritter Ramm" ist geblieben. Der Rest des Hauses ist mit Mietwohnungen bestückt.

    1957:

    Der DGB Kreisverband zieht von der Tappenstraße 14 in sein später langjähriges Domizil in die Klosterstraße 1.

    Der SPD Unterbezirk Goslar-Gandersheim wird in der Bergstraße 6 vermeldet. Ebenso der Geschäftsführer Günter Brinker.


    1979:

    Am 21.08. brennt das Hotel "Ritter Ramm" nieder.

    1982:

    Wiederaufbau des Hauses als Wohnhaus.
    Macht-
    eroberung

    Frühjahr 1933

    Nationalsozialistische
    Machteroberung in
    der Stadt Goslar

    Am 30. Januar 1933 wird Adolf Hitler von Reichspräsident Hindenburg zum Reichskanzler ernannt. Seine Partei, die NSDAP (Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei), stellt zusammen mit der DNVP (Deutschnationale Volkspartei) die neue Regierung. Die Goslarsche Zeitung vom nächsten Tag jubelt, "der endliche Durchbruch des nationalen Staates unter der Kanzlerschaft Adolf Hitlers" sei erreicht. Propagandafeldzüge, Einschüchterung, Gewalt und Terror begleiten die Machteroberung der NS-Bewegung in der Stadt. Uniformierte Nazis marschieren am Abend vor dem Kaisersaal auf und lauschen zusammen mit zahlreichen Zuhörern den Worten von NSDAP-Kreisleiter Huxhagen und SA-Standartenführer Schleich.

    16. Februar 1933: Großkampftag der NSDAP in Goslar mit den Rednern:

    – Chausseewärter Hermann Ahrens, später Bürgermeister von Salzgitter Watenstedt bis 1942; nach dem Krieg 1951-1963 Inhaber mehrerer Ministerämter in Niedersachsen,
    – Dorfpfarrer und SA-Mann Wilhelm Beye, wenig später kurzfristig Bischof der ev.-luth. Landeskirche Braunschweig,
    – Landwirt Hartwig v. Rheden, wenig später Landesbauernführer des Reichsnährstands in Niedersachsen.

    26. Februar 1933: Aufmarsch der SA-Standarte in Goslar

  • An die tausend Braunhemden der SA-Standarte 10 Harz marschieren durch die Stadt.
  • Im Kaisersaal lädt NS-Frauenschaftsführerin Ottilie Heubel die Damen der Stadt zur nationalen Mobilisierung durch Pastor Schott aus Braunschweig ein. Zum Thema "Erneuerung aus Blut und Boden" sprechen:
  • – Domänenpächter Herbert Backe, später Stellvertreter des Reichsbauernführers und Ernährungsministers R.W. Darré, als Chefplaner und -organisator verantwortlich für den Massenmord an den Völkern Mittelosteuropas ab Juni 1941.
    – Kreisbauernführer und Rittergutsbesitzer v. Löbbecke.

    27. Februar 1933: Der Reichstagsbrand und die Auswirkungen in Goslar

    Das Gewerkschaftshaus, in dem auch die SPD untergebracht ist, wird durchsucht. Flugblätter und Zeitungen werden beschlagnahmt.
    Reichspolitik

    Wahlergebnisse von 1928 bis 1933

    Wie hat Goslar gewählt?

    Reichstagswahlen von 1928 bis 1933

    Gemeindewahlen 1929 und 1933

    30. Januar 1933:

    Reichspräsident Hindenburg ernennt Adolf Hitler zum Reichkanzler; das Kabinett wird vereidigt.

    1. Februar 1933:

    Auf Verordnung des Reichspräsidenten wird der Reichstag aufgelöst, Neuwahlen für den 5. März angesetzt.

    4. Februar 1933:

    Mit der Verordnung des Reichspräsidenten "Zum Schutze des deutschen Volkes" werden Presse- und Versammlungsfreiheit beschnitten.

    22. Februar 1933:

    Aufstellung der Hilfspolizei In Preußen mit ca. 50.000 SS-, SA- und Stahlhelm-Leuten.

    ...

    27. Februar 1933:

    Der ehemalige holländische Kommunist Marinus van der Lubbe setzt Teile des Reichstagsgebäudes in Brand. Goebbels behauptet noch in der Nacht, dies sei ein Fanal der KPD zum Aufstand. Sofort werden alle KPD-Abgeordneten und hohen Funktionäre verhaftet, Parteibüros und die Parteipresse verboten. Die SPD-Presse wird für zunächst 14 Tage verboten.

    28. Februar 1933:

    Mit der Verordnung des Reichspräsidenten "zum Schutz von Volk und Staat", der "Reichstagsbrandverordnung", werden die Grundrechte der Verfassung außer Kraft gesetzt: Freiheit der Person, Meinungs-, Presse-, Vereinigungs-, Versammlungsfreiheit, Post- und Fernmeldegeheimnis, Unverletzlichkeit von Eigentum und Wohnung.

    Durch die nun ermöglichte Schutzhaft (ohne richterliche Kontrolle) werden in Preußen bis Mitte März etwa 10.000 Personen verhaftet. Die Verordnung bleibt bis zum Ende des NS-Regimes 1945 in Kraft; sie bildet die Grundlage für die jedem Recht entrückte willkürliche Gewalt von SS und Gestapo.
    Terror

    Terror

    Angriffe auf Gewerkschaften
    und die Arbeiterparteien

    Die Harzer Volkszeitung (HVZ) war die Zeitung der SPD und war wie die Partei in der Bergstraße 6 untergebracht. Adressat der Zeitung war die werktätige Bevölkerung des Harzes und der angrenzenden Gebietsteile. Der Kreis mit den drei Pfeilen im Titel zeigte wie das Wahlplakat aus dem Jahr 1932 die Ablehnung gegen von Papen (Zentrum), Hitler (NSDAP) und Thälmann (KPD) durch die "Eiserne Front".
    Die HVZ war auch zuständig für amtliche Veröffentlichungen der Kreise Goslar und Zellerfeld, der Städte Goslar, Clausthal-Zellerfeld, Bad Grund, St. Andreasberg, Lautenthal sowie der Gemeinden Vienenburg und Oker.

    Wilhelm Schacht, ein gelernter Maurer und SPD-Funktionär, war der Herausgeber. Er wohnte in dem Haus.

    Stimmungsmache der NSDAP vor der Reichstagswahl am 05.03.1933

    Lebenslauf von Heinrich Droste Geb. 24.07.1896 in Eickum/Westfalen, Abschluss der höheren Handelsschule, Lehre als Kaufmann, Kriegsfreiwilliger, danach Mitglied der "Grenzschutztruppen", ab Januar 1919 im Osten, 1920 Anstellung in Bad Harzburg. Ab 1922 kaufmännischer Angestellter in Goslar beim "Harzer Weinbrunnen", 1929 Wahl zum NSDAP-Bürgervorsteher (Ratsmitglied); Fraktionsvorsitz; Wiederwahl 1933, 03.04.1933: Einsetzung als Staatskommissar für die Stadt Goslar, 26.09.1933: Wahl zum Oberbürgermeister

    Am 2. und 3. März werden Flugblattverteiler der KPD, am 13. März der Kommunist Zenker und der Betriebsrat der Greifwerke Maibaum festgenommen.
    Im März werden 32 SA-Leute, SS-Männer und Stahlhelmer unter dem Kommando von SA-Sturmbannführer Kowalaszek als Hilfspolizisten eingestellt.

    Syndikus Wandschneider (SPD) verlässt nach der Wahl am 5. März fluchtartig die Stadt.
    7. März: Erster Angriff auf das Gewerkschaftshaus – weitere folgen
    Der erste Versuch, auf dem Gewerkschaftshaus in der Bergstraße 6 die Hakenkreuzfahne anzubringen, scheitert am 7. März am Widerstand von Gewerkschaftern und der Polizei. Einen Tag später kommt SAOberführer Sauke aus Braunschweig angereist.
    In Ausführung von Gewaltmaßnahmen schon erfahrener als seine Goslarer Gesinnungsfreunde, besetzt er mit bewaffneten SA- und SS-Männern das Gewerkschaftshaus, vertreibt die noch Anwesenden und lässt das Gebäude durch die Polizei versiegeln. Als Begründung dienen angebliche Waffen- und Munitionsfunde.
    Ein Zeitzeuge erinnert sich … (nachgestelltes Interview nach Aufzeichnungen von Dr. Jochen-Thomas Werner aus: "Zur Geschichte der Arbeiterbewegung im Wirtschaftsraum Goslar 1848-1949", 1990

    Loading the player ...

    Terror

    Ein Zeitzeuge erinnert sich … (nachgestelltes Interview nach Aufzeichnungen von Dr. Jochen-Thomas Werner aus: "Zur Geschichte der Arbeiterbewegung im Wirtschaftsraum Goslar 1848-1949", 1990
    Am 20. März wird in Schladen der Kommunist E. Lalla in "Schutzhaft" genommen.

    Am 23./24. März finden umfangreiche Haussuchungen statt. 20 Regimegegner der SPD und KPD werden in Oker verhaftet. Ein Bild vom Konzentrationslager Dachau, das am 20.3.1933 eingerichtet worden ist, wird in der GZ am 24. März veröffentlicht.

    Am 30. April wird mit Brennecke, Schacht und Wiederhold die goslarsche SPDFührung verhaftet und die KPD-Leute Lehne und Fegebank festgenommen.

    30. März Auf der konstituierenden Sitzung der Bürgervorsteher wird die Umbenennung der Klubgartenstraße in "von-Hindenburg-Straße" und der Bahnhofsstraße in "Adolf-Hitler-Straße" beschlossen.

    Am 5. April tritt OB Heinrich Klinge zurück; NSDAP-Fraktionsvorsitzender Droste wird zum Staatskommissar, der Referendar Hermann Mühlenberg als sein juristischer Berater bestellt.
    Am 8. April wird der Polizeikommissar Friedrich Ostheeren aus politischen Gründen zwangsbeurlaubt, polizeilich vernommen und schwer misshandelt.
    Am 10. April durchsucht der SA-Sturm von Standartenführer Schleich mit 65 Mann die Wohnungen und Häuser von bekannten SPD- und KPD-Mitgliedern in Groß Heere, Klein Heere, Groß Elbe, Klein Elbe, Baddeckenstedt und Gustedt.
    40 Männer werden vorläufig festgenommen und verhört. Dabei werden die politischen Gegner mit Gummiknüppeln, Fäusten und Stiefeln traktiert.
    Der KPD-Mann Paasche wird so schwer misshandelt, dass er am 17. April 1933 im Hildesheimer Krankenhaus stirbt. (Die GZ v. 28.2., 19.3. und 24.3.1951 berichteten in der Nachkriegszeit über den wegen dieser Vorfälle eingeleiteten Prozess. Die Goslarer Angeklagten Pauls und Oelmann wurden freigesprochen.)
    Am 6. und 9. Mai werden auf Beschluss des Magistrats 15 städtische Arbeiter und Angestellte aus politischen Gründen entlassen. Im Juli folgen 35 weitere.
    Verfolgung

    Terror

    Verfolgung von Juden
    und "Gemeinschaftsfremden"


    Bereits am 24.03.1933 konnte man in der Goslarschen Zeitung (s.o.) vom ersten Konzentrationslager "für verdächtige Linksradikale" lesen, das von Heinrich Himmler auf dem Gelände der ehemaligen Pulver- und Munitionsfabrik in Dachau bei München errichtet wurde.
    Der Eigner der Goslarschen Zeitung Walter Krause schrieb am 27.03.1933:
    "Bei andauernder Hetze allerdings könnten wir sehr wohl denken, dass die Regierung sich gezwungen sehen müsste, zur Vermeidung von ganz spontanen Zornesausbrüchen eines gequälten Volkes die in Deutschland ansässigen Juden in Schutzhaft zu nehmen und in Konzentrationslagern nützlicher Arbeit zuzuführen."

    Die Gegenwehr der Juden gegen Schikane und Verfolgung wird hier als "Judenhetze" ausgelegt. So werden Opfer zu Tätern gemacht.
    Am 1. April 1933 findet eine Boykottaktion gegen jüdische Geschäfte in Goslar statt. Die Anführer des Boykottrupps sind:
  • Kreisleiter des "Kampfbundes für den gewerblichen Mittelstand" Seifert,
  • NSDAP-Ortgruppenführer Hermann Wittig,
  • SA-Sturmführer Illig,
  • SS-Sturmführer August Scheer,
  • NSBO-Kreisleiter Niebisch. (GZ v. 30.3.1933)

  • Angriffsziele des "Aktionsausschusses zur Abwehr der Judenhetze"
  • Philipp Heilbrunn, Fischemäkerstraße 8,
  • Gola GmbH, Hosenträger und Gürtelfabrik, Inh. Dagobert Levy, Kornstraße 7,
  • Jacob, Häute- und Lederhandlung; Inh. Charley, Alfred u. Max Jacob, Petersilienstr. 3-4,
  • Hochberg, Selmar, Kaufhaus, Breite Straße 91,
  • Globus Schuhhandlung. Inh. Altmann und Goldmann,
    Fischemäkerstr. 5,
  • Möbel-Krone, Möbelhandlung, Breite Straße 94,
  • Neuburg, Julius, Königs-Sauerbrunnen, v. Garßenstr.,
  • Singer-Nähmaschinen AG, Filiale Goslar, Hokenstr. 18.

  • Im Frühsommer: Weitere Unterdrückungsmaßnahmen gegen jüdische Mitbürger durch die Stadt
    Ohne offizielle Maßgabe einer übergeordneten Behörde verfügt die Stadt:
  • Juden dürfen auf dem Schützenfest keine Stände aufstellen;
  • für weiterführende Schulen wird ein Numerus Clausus für "nichtarische" Schüler eingeführt;
  • die Stadt erteilt keine Aufträge mehr an jüdische Geschäfte und Kaufleute, an jüdische Anwälte und Notare.
  • Goslarsche Zeitung vom 8./9.4.1933:
    "Die nationalsozialistische Bewegung hat das große Verdienst, die seelischen Abwehrkräfte gegen die jüdische Anmaßung zu einer einheitlichen starken Willenskundgebung nach außen aktiviert zu haben. …
    Der Deutsche ist sich bewusst geworden, worum es geht. Man muss allerdings genügend Instinkt haben, um zu unterscheiden, was jüdisch und was deutsch ist."
    5. Mai: Der Goslarsche Pranger
    Senator Söffge (SPD) berichtet im Nachkriegsprozess:

    "Am 5. Mai erschien ein Trupp der SA, geführt von einem gewissen Hermann Emme, holte mich aus meiner Wohnung und brachte mich zum Kaisersaal.
    Dort befand sich auch der unter gleichen Umständen aus seiner Wohnung geholte Kaufmann Selmar Hochberg. Dort versuchte man, mich planlos auszufragen und mich mit Drohungen einzuschüchtern.
    ...
    ... Sodann brachte man den Kaufmann Hochberg und mich auf einen von dem nationalsozialistischen Bürgervorsteher und Schlachtermeister Herlemann ausgeliehenen Viehwagen und begann uns mit einem um den Hals gehängten Schild durch die Stadt zu fahren. Vor dem Wagen marschierten mehrere Gruppen der SA, mit Karabinern bewaffnet, und der berüchtigte Sturmführer Adolf Ahrens aus Goslar. … Einige Hauptbeteiligte an dieser Affäre sind mir, außer den schon aufgeführten, noch bekannt. Es handelt sich außer dem Adolf Ahrens um einen gewissen Fuchs, der damals Ortsgruppenleiter gewesen sein soll, und Lortzing, Schwiegersohn des Lehrers Engelriede."
    Federzeichnungen von Rudolf Sattler 1989/1990
    Großrazzien

    Großrazzien im gesamten Harz

    Wohnungsdurchsuchung des Hauptkassierers der SPD, Emil Ohlendorf /
    am 16. September 1933

    SA vor der Tuer
    Am 22. Juni 1933 wurde die SPD verboten. Trotz Repression und Verfolgung versuchten einige Mitglieder der SPD in Goslar Ihren Ortsverein in der Illagalität aufrecht zu erhalten. Dem engagierten damaligen Hauptkassierer Emil Ohlendorf lag "...die Pflege der sozialdemokratischen Gesinnungsgemeinschaft" am Herzen. Der Zusammenbruch der Nationalsozialistischen Diktatur schien nur eine Frage der Zeit zu sein.
    Dies stellte sich jedoch als fataler Irrtum heraus. In den frühen Morgenstunden des 16. September 1933 wurde die Wohnung des Gewerkschafters und SPD-Mitglieds von SA-Leuten durchsucht.

    SA-Trupp steht vor der Tür

    In seinem Körbchen im Schlafzimmer der Eltern lag der Sohn, einen Monat alt ...
    Loading the player ...
    (nachgestelltes Interview nach Aufzeichnungen von Dr. Jochen-Thomas Werner aus: "Zur Geschichte der Arbeiterbewegung im Wirtschaftsraum Goslar 1848-1949", 1990

    Großrazzien im gesamten Harz

    Auslöschung des
    demokratischen Widerstands /
    17.,18. und 19. September 1933

    Ein Goslarer Schicksal

    Rudolf Bosse
    geb. am 31.01.1890

    Er kam aus einer alten Goslarer Bergmannsfamilie und arbeitete als Fördermaschinist im Rammelsberg. Bosse engagierte sich als Funktionär des Verbandes der Bergarbeiter Deutschlands und Führer des örtlichen Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold, einer vorwiegend sozialdemokratischen Kampfbewegung gegen die Feinde der Republik.
    Rudolf Bosse bekämpfte die Nationalsozialisten und wurde von ihnen als "einer der gefährlichsten Gegner unserer Bewegung" eingeschätzt. 1933 mit dem Machtantritt der NSDAP wurde er aller seiner Ämter enthoben. Er wurde entlassen und unter Polizeiaufsicht gestellt. Am 23. August 1944 wird er zusammen mit Wilhelm Söffge verhaftet und der Gestapo nach Braunschweig überstellt.
    ...
    Im Zusammenhang mit dem gescheiterten Attentat auf Hitler (20. Juli 1944) wurde er, wie viele andere auch, in das KZ Sachsenhausen verschleppt. Dort wurde er 1945 befreit. Nach seiner Rückkehr hat er sich sofort wieder politisch und gewerkschaftlich engagiert. 1946 wurde er Oberbürgermeister von Goslar, 1947 wurde er in den Niedersächsischen Landtag gewählt. Er starb am 27.05.1966.
    In den ersten Aprilwochen wurden die Kommunisten S. Hille, H. Rübesamen, W. Lehne und H. Wenskowski festgenommen und ins Goslarer Untersuchungsgefängnis verbracht. Nach dem für die Festgenommenen günstig verlaufenen Haftprüfungstermin ordnete Droste Schutzhaft an, und sie wurden ins KZ Moringen bei Northeim eingeliefert. Hermann Wenskowski
    Schon in den letzten Jahren der Weimarer Republik engagiert sich der Goslarer Bergmann und Kommunist Hermann Wenskowski im antifaschistischen Kampf im Harz. So agitieren er und seine Genossen gegen das Treffen der sogenannten "Harzburger Front" von Nationalsozialisten, "Stahlhelm" und Deutschnationalen in Bad Harzburg im Oktober 1931. Noch bis Februar 1933 verbreitet er die KPD-Wochenzeitung "Rotes Harz-Echo", kassiert Parteibeiträge.
    ...
    . Im April 1933 wird er wegen angeblichem Sprengstoffbesitz und somit "Hochverrat" verhaftet und nach der Untersuchungshaft im Juni in das Konzentrationslager Moringen überführt, obwohl seine Frau und seine Mutter sich sehr für ihn einsetzen. Dennoch verfügt der NSDAP-Oberbürgermeister von Goslar, Droste, die sogenannte "Schutzhaft".
    ... Das KZ Moringen beschreibt Hermann Wenskowski unter der Kontrolle der Polizei als noch erträglich, mit der Übernahme durch die SS im Sommer 1933 wird es "die Hölle auf Erden". Er schreibt in seinen Erinnerungen 1964: "Brutale Mißhandelungen und Schläge waren an der Tagesordnung ..."

    Quelle: Gedenkstätte Moringen

    17.,18. und 19. September

    Mit einer Großrazzia gegen Kommunisten im gesamten Harz wird der letzte große Schlag gegen politische Gegner des Regimes unternommen. Im Harz werden über 80, in Goslar allein 25 Menschen festgenommen und im Goslarer Gerichtsgefängnis bis zum Prozess in Untersuchungshaft genommen.
    Die Anklage der Generalstaatsanwaltschaft beim Kammergericht Berlin vom 23. Dezember 1933 lautet: "a) das hochverräterische Unternehmen, die Verfassung des Deutschen Reiches gewaltsam zu ändern, vorbereitet zu haben, b) es unternommen zu haben, den organisatorischen Zusammenhalt einer anderen politischen Partei als der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei aufrecht zu erhalten.

    – Verbrechen strafbar nach §§ 81 Ziff.2, 86, 86a, 73 St.G.B., §§ 1, 2 des Gesetzes über die Neubildung von Parteien vom 14.7.1933 (RGBl. I S. 479)".(StAWF, 62 FB 2, Nr. 525.)

    Was wurde ihnen konkret vorgeworfen? Die Verteilung oder Aufbewahrung der Flugblätter "Hungriger Harz", "Entlarvt die Lüge vom Hakenkreuz-Sozialismus" und "Der Kanzler an sein Volk" sowie der "Roten Fahne", die Beherbergung des in Kassel angeklagten Kuriers Thies, die Vertreibung von Beitragsmarken, die Mitgliedschaft in oder Sympathie mit der KPD oder einer ihrer Unterorganisationen.
    ...
    Wesentlicher Zeuge der Anklage war Kriminalassistent Golinski, der Leiter der Verhöre gewesen war. Vierundzwanzig Angeklagte saßen bis zum Prozessbeginn am 12. März 1934 im Untersuchungsgefängnis. Der Staatsanwalt Dr. Seewald stellte Strafanträge zwischen anderthalb und zweieinhalb Jahren. Frau Nauruschat sollte freigesprochen werden. Die Urteile lagen zwischen einem Jahr und zweieinviertel Jahren Zuchthaus oder Gefängnis bei Freisprüchen für Frau Boas und Frau Nauruschat.
    Die Angeklagten, alle aus Goslar:

      1. Bauarbeiter Hans Nauruschat,
      2. Schuhmacher Willi Vogel,
      3. Brenner Heinrich Kaste,
      4. Vertreter Heinrich Hüsch,
      5. Tischler Wilhelm Bremer,
      6. Bote Walter Schwerthelm,
      7. Steinsetzer Walter Linkoegl,
      8. Schneider Ernst Collwig,
      9. Arbeiter Johannes Wesnigk,
      10. Bäcker Fritz Anding,
      11. Arbeiter Wilhelm Bertram,
      12. Arbeiter Ernst Voges,
      13. Arbeiter Heinrich Maibaum,
      14. Maschinist Ernst Himstedt,
      15. Bergmann August Voges,
      16. Arbeiter Julius Reinecke,
      17. Arbeiter Heinrich Wolf,
      18. Buchdrucker Willi Boas,
      19. Ehefrau Erna Boas,
      20. Ehefrau Helene Greve,
      21. Konditor Ernst Reinecke,
      22. Schlosser Arnold Mevers,
      23. Arbeiter Karl Schlüter,
      24. Arbeiter Alwin Naake,
      25. Ehefrau Ida Nauruschat.
    5. März -
    1. April '33

    Terror

    Daten zum Geschehen
    im Deutschen Reich

    5. März 1933:

    Trotz Terror, Behinderung und Verboten erreicht die NSDAP bei den Reichstagswahlen nur 43,9 % der Stimmen, zusammen mit dem Bündnispartner, Alfed Hugenbergs DNVP 51,9%.

    15. März 1933:

    Verbot der KPD

    20. März 1933:

    Himmler gibt die Errichtung des ersten Konzentrationslagers in Dachau bekannt.

    21. März 1933:

    "Tag von Potsdam": Feierlich preußische Traditionen beschwörend wird die Konstituierung des Reichstags in der Garnisonskirche als Einheit von Hitler, Hindenburg und den Würdenträgern des Reichs zelebriert. Einrichtung von Sondergerichten; Einlieferung der ersten Gefangenen in das Konzentrationslager Oranienburg, das durch diese ersten Gefangenen ausgebaut wurde.
    Beschleunigter Ausbau des Lagersystems, in dem SA-Trupps bis Ende Oktober etwa 100.000 Inhaftierte quälen. Nach Schätzungen kommen 500 bis 600 Menschen um.

    23. März 1933:

    Das Ermächtigungsgesetz "zur Behebung der Not von Volk und Reich" wird auf der Reichstagssitzung in der Krolloper mit mehr als 2/3-Mehrheit gegen die 94 Stimmen der anwesenden SPD-Abgeordneten verabschiedet. SA und SS riegeln das Gebäude ab. Durch das Verbot der KPD fehlen der Opposition die 88 Stimmen der KPD-Abgeordneten. 22 SPD-Abgeordneten fehlen bei der Abstimmung, weil sie in "Schutzhaft" sitzen oder geflohen sind. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Otto Wels hält in dieser Situation eine mutige Gegenrede.

    1. April 1933:

    Reichsweiter, von der NSDAP und dem Goebbelsministerium organisierter Boykott jüdischer Geschäfte und Einrichtungen
    7. April -
    2. Mai '33

    7. April 1933:

    Gesetz "zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums". Arierparagraph. Politisch unzuverlässige Personen und Juden sollen aus der Beamtenschaft ausgeschlossen werden. Ausführungsverordnungen erweitern die Berufsverbote und Einschränkungen auf Angestellte und Arbeiter, Professoren und Notare, Rechtsanwälte und Ärzte.

    26 April 1933:

    Die SPD-Reichskonferenz billigt den von der Parteiführung ausgegebenen Legalitätskurs.

    1. Mai 1933:

    Seit 1890 war der 1. Mai der internationale Kampftag der Arbeiterklasse. Die Nationalsozialisten machen diesen Tag zum "Tag der nationalen Arbeit". Er wird gesetzlicher Feiertag. Massenkundgebungen sollen die Aufhebung der Klassen und die Schaffung einer Volksgemeinschaft suggerieren. Der ADGB-Bundesvorstand hat beschlossen, sich zu beteiligen.
    Die NSDAP verhängt eine Aufnahmesperre. Seit Januar waren 1,6 Mio. Neueintritte zu verzeichnen.

    2. Mai 1933:

    Rollkommandos der NSBO (nationalsozialistische Betriebszellenorganisation) und der SA besetzen in ganz Deutschland Häuser und Betriebe der Freien Gewerkschaften. Funktionäre kommen in "Schutzhaft". Die Gewerkschaften werden zerschlagen, ihre Mitglieder in die am 10. Mai gegründete Deutsche Arbeitsfront (DAF) zwangseingegliedert.
    10. Mai -
    20. Juli '33

    Terror

    Daten zur Geschichte
    im Deutschen Reich

    10. Mai 1933:

    Bücherverbrennung. In deutschen Universitätsstädten verbrennen Studenten Werke "verfemter" Autoren. Das SPD-Parteivermögen wird beschlagnahmt.

    1. Juni 1933:

    Gesetz zur Minderung der Arbeitslosigkeit. 1 Mrd. Reichsmark werden für öffentliche Baumaßnahmen etc. bereitgestellt.

    22 Juni 1933:

    Verbot der SPD; rasche Selbstauflösung der anderen Parteien.

    27. Juni 1933:

    Hugenberg bittet auf Druck der NSDAP um seine Entlassung aus dem Kabinett.

    1./2. Juli 1933:

    Hitler befiehlt die Unterstellung des Stahlhelms unter die SA.

    14. Juli 1933:

    Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses ermöglicht Zwangssterilisation; es bildet den ersten Schritt für die späteren Euthanasiemorde.

    20. Juli 1933:

    Abschluss des Reichskonkordats zwischen dem Vatikan und dem deutschen Reich.
    31. August -
    12. November '33

    Großrazzien im gesamten Harz

    Daten zum Geschehen
    im Deutschen Reich

    31. August bis 3. September 1933:

    NSDAP-"Parteitag des Sieges" in Nürnberg

    11. September 1933:

    Gründung des Pfarrernotbundes durch Martin Niemöller u.a. , und damit Beginn des "Kirchenkampfes" gegen die Gleichschaltung der ev. Kirche in Deutschland

    13. September 1933:

    Das Winterhilfswerk (WHW) wird proklamiert.

    22. September 1933:

    Mit dem Reichkulturkammergesetz werden alle Kultur- und Presseeinrichtungen der Kontrolle durch die NSDAP-Parteiführung unterworfen.

    29. September 1933:

    Mit dem Reichserbhofgesetz ("Bauer kann nur sein, wer deutscher Staatsbürger, deutschen oder stammesgleichen Blutes und ehrbar ist") erhält die Blut-und-Boden-Ideologie des Reichnährstands Gesetzesform.

    14. Oktober 1933:

    Austritt aus dem Völkerbund und der Genfer Abrüstungskonferenz

    12. November 1933:

    Bei Scheinwahlen zum Reichstag erhält Hitler 95,2 % Zustimmung bei einer Wahlbeteiligung von 95,2 Prozent.
    NSBO

    Auf dem Weg zur NS-"Volksgemeinschaft"

    Nationalsozialistische
    Betriebszellenorganisationen (NSBO)

    1. Mai 1933


    Heil-Hitler rufende Karstadt-Mitarbeiterinnen. Sie gehören laut Aufschrift auf dem LKW der NSBO an. Quelle für beide Fotos: Friedhelm Geyer, Goslarer Photoalbum, Historische Photodokumente aus Goslar zwischen 1870 und 1940, 1995.
    Der Fotograf: Hans Udolf

    Ein anderer Festwagen.


    ...
    Ab 1927 schlossen sich NSDAP-Mitglieder zu Betriebsgruppen zusammen. Die NSBO bildete sich 1928 aus diesen Gruppen und wurde am 15. Januar 1931 zur Reichsbetriebszellenabteilung der NSDAP erklärt. Die offensive Mitgliederwerbung auch unter Anwendung von Propaganda und Gewalt fand statt unter dem Schlagwort "Hinein in die Betriebe" und dessen Abkürzung "Hib".
    Die NSBO konnte insgesamt nur geringen Erfolg verzeichnen. Ihre Verbände erreichten auf Grund ihrer niedrigen Mitgliedszahlen nirgendwo die Tariffähigkeit. Dies war auch nicht ihre Aufgabe. Sie dienten einzig dazu, die traditionellen Gewerkschaften zu untergraben und ihre Mitglieder durch Abwerbung an die NSDAP zu binden. Obwohl die Partei-Führung der NSBO keine gewerkschaftliche Arbeit erlaubte - dies widersprach vehement ihrer Betriebs- und Volksgemeinschaftsideologie - engagierten sich die Mitglieder zunehmend auch auf gewerkschaftlichen Tätigkeitsfeldern wie der Teilnahme an Betriebsratswahlen oder der Organisation von Lohnstreiks.

    Zu reichsweiter Bedeutung gelangten die NSBO mit dem 2. Mai 1933, als sie zum "Träger der Aktion ... zur Besetzung der Gewerkschaftshäuser" wurden. Wenige Tage nach dem Verbot der Gewerkschaften in Deutschland am 2. Mai 1933 wurde die Deutsche Arbeitsfront (DAF) gegründet. Die Hoffnung ihrer Mitglieder, die NSBO würden nun zum "Kern einer parteigebundenen Einheitsgewerkschaft" werden, erfüllten sich nicht: Ihre Funktion beschränkte sich künftig auf die Verbreitung nationalsozialistischer Propaganda in den Betrieben. 1935 wurden die NSBO zu Gunsten der DAF (Deutsche Arbeitsfront) aufgelöst.
    Um für Hitlers Kriegsziele die Arbeitsleistung der Betriebe zu erhöhen, wurde am 1. September 1936 der Ehrentitel eines Nationalsozialistischen Musterbetriebes eingeführt. Diesen Titel erhielten Betriebe, die die propagierte NSGemeinschaft am besten umzusetzen in der Lage waren.
    Neben anderen Auszeichnungen erhielten fortan jeweils am 1. Mai des Jahres derartige Musterbetriebe das Recht zur Führung einer besonderen Musterbetriebs-Fahne ("Goldene DAFFahne") zugestanden.

    Gründung einer NSBO im Bleiwerk

    Am 12. April 1933 schreibt die Goslarsche Zeitung hierzu: "Pg. Rademacher eröffnet die Versammlung im "Braunschweiger Hof", die fast von der ganzen Belegschaft besucht war. Der gefüllte Saal bringt zum Ausdruck, dass auch in dem ehemals besonders roten Bleiwerk ein gewaltiger Stimmungsumschwung zur nationalsozialistischen Idee zu verzeichnen ist.
    Der Versammlungsleiter ... geißelt zunächst das Verhalten des bisherigen Betriebsrates, der wohl in letzter Minute eine Liste zur Betriebsratswahl aufgestellt, diese aber wieder zurückgezogen habe aus Gründen, die einem Nationalsozialisten gegenüber nicht stichhaltig sein könnten. Es sei allein die Liste der NSBO geblieben und daher als gewählt zu betrachten. ...
    Die NSBO bekenne sich zum Gemeinschaftsgedanken. Der Nationalsozialismus wolle dem Arbeiter sein Vaterland zurückgeben und ihn in den Dienst des Staates eingliedern. "Nicht für uns, alles für Deutschland!" Mit diesen Worten schließt der Redner seine fesselnden und mit starkem Beifall aufgenommenen Ausführungen. Die Anwesenden singen hierauf den ersten Vers des Deutschlandlieds."

    Das Bergdankfest im Juni 1933

    "Kein Fest des Jahres ist für Goslarer so typisch, so unvergleichlich, so mit unserem Boden, unserer Stadt und unserer großen geschichtlichen Vergangenheit verwurzelt, wie das Bergdankfest, ist doch der Rammelsberger Bergbau seit der frühesten Zeit unserer Geschichte Nerv und Herz der wirtschaftlichen wie politischen Größe unserer Stadt." (GZ v. 12.6.1933). Seit Jahren hatten die Arbeiter des Bergwerks und der Hütten eine Beteiligung an dem traditionellen Bergdankfest abgelehnt. Zu sehr waren sie im Kampf um Arbeit und gerechten Lohn von den Geschäftsleitungen düpiert und zurückgewiesen worden, als dass sie gemeinsam mit ihnen feiern wollten.

    Erst im Juli 1932 hatte der Vorstand der Unterharzer Berg- und Hüttenwerke das Bergwerk und die Hütten schließen und damit etwa 1.700 Arbeiter und Angestellte entlassen wollen. In energischen und zähen Verhandlungen mit den staatlichen und halbstaatlichen Anteilseignern war es der republikanischen Stadtführung gelungen, dies bei großen Zugeständnissen der Belegschaften zu verhindern.
    Doch die Nationalsozialisten schrieben sich diesen Erfolg auf die Fahnen. 1933 wirkten sie im Schulterschluss mit Bergwerksdirektor Oberbergrat Bellinger, dem örtlichen NSBO-Beauftragten Kaiser und dem Betriebsrat Koch auf die Wiedereinführung dieser Veranstaltung hin.

    Es sollte "der Anfang zur Wiedereinführung des alten Knappschaftsfestes (sein), welches die gesamte Belegschaft des Rammelsberges vom Bergwerksdirektor bis zum jüngsten Wäscharbeiter in kameradschaftlicher Weise zusammenführt." (GZ 10./11.6.1933) Es war ein Probelauf für die Herstellung des NS-Gefolgschaftsverbandes in den Betrieben. Die in Weimar erkämpften Arbeiterrechte sollten zugunsten einer Führergemeinschaft im Betrieb geopfert werden. Das Bergdankfest bildete somit den Versuch, über eine Belebung der Knappschaftstradition eine Gefolgschaft am Rammelsberg zu etablieren.
    1. Mai
    Feiertag

    1933: NS-Regime erklärt den
    1. Mai zum Feiertag

    Die Rolle des ADGB (Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund)

    Theodor Leipart
    * 17. Mai 1867, † 23. März 1947 1922 bis 1933 Vorsitzender des ADGB und Vizepräsident des Internationalen Gewerkschaftsbundes

    Aufruf von Theodor Leipart, 15. April 1933:

    "An die Mitglieder der Gewerkschaften!
    Kollegen und Kolleginnen!

    Im Zeichen des 1. Mai habt ihr alljährlich euch zu der großen Aufgabe bekannt, in der deutschen Arbeiterschaft den hohen Gedanken der gegenseitigen Hilfe durch Erziehung zu Standesbewußtsein, Gemeinschaftswillen und Kameradschaftssgeist unermüdlich zu wecken, zu pflegen und zu fördern, wie er in unseren Gewerkschaften seinen organisatorischen Ausdruck gefunden hat.

    Am Tage des 1. Mai erglühte stets erneut das Bekenntnis der von leidenschaftlichem Kulturwillen beseelten deutschen Arbeiter, den werktätigen Menschen einem dumpfen Arbeitsdasein zu entreißen und ihn als freie, selbstbewußte Persönlichkeit in die Gemeinschaft des Volkes einzuordnen.

    So habt ihr im Zeichen des 1. Mai auch den gesetzlichen Achtstundentag, das Recht auf menschenwürdige Existenz erobert.
    Wir begrüßen es, dass die Reichsregierung diesen unseren Tag zum gesetzlichen Feiertag der nationalen Arbeit, zum deutschen Volksfeiertag erklärt hat. An diesem Tage soll nach der amtlichen Ankündigung der deutsche Arbeiter im Mittelpunkt der Feier stehen. Der deutsche Arbeiter soll am 1. Mai standesbewußt demonstrieren, soll ein vollberechtigtes Mitglied der deutschen Volksgemeinschaft werden.

    Das deutsche Volk soll an diesem Tage seine unbedingte Solidarität mit der Arbeiterschaft bekunden. Kollegen und Kolleginnen in Stadt und Land! Ihr seid die Pioniere des Maigedankens. Denkt immer daran und seid stolz darauf.

    In herzlicher Kameradschaft mit euch allen unerschütterlich verbunden, senden wir euch zu diesem Tage unseren gewerkschaftlichen Gruß. "
    1. Mai
    Feiertag
    Am 19. April 1933 rief er die Mitglieder dazu auf, sich an den faschistischen Maifeiern zu beteiligen. Dieser Aufruf kam einer Kapitulation gleich und wurde von Leipart später mit der Absicht erklärt, die Mitglieder vor zu erwartenden Repressalien im Falle der Nichtteilnahme an den offiziellen Feiern zu schützen.

    Leipart hat zu seiner Zeit, wie viele andere Oppositionelle auch, den wahren Charakter der Nazi-Bewegung verkannt und zu lange die illusionäre Hoffnung gehegt und auch verbreitet, die Gewerkschaften könnten, wenn auch mit Einschränkungen, das Nazi-Regime überdauern.

    Ausschnitt aus der Rede von Adolf Hitler zum 1.Mai 1933

    Loading the player ...
    Als am 2. Mai 1933 dann das Aus kam – die SA die restlichen Gewerkschaftshäuser, auch das Bundeshaus in der Berliner Wallstraße, besetzte –, wurden die führenden Gewerkschafter, auch Leipart, brutal misshandelt und in »Schutzhaft« genommen.

    Am 9. Mai 1933 wurde gegen Leipart und Genossen ein Ermittlungsverfahren wegen Untreue eingeleitet, das aber nie abgeschlossen wurde und nicht zur Anklage führte, da praktisch nicht ermittelt worden war. Die Aktion diente dazu, die Gewerkschaftsführer zu kriminalisieren und zugleich eine formale Rechtsgrundlage für die Beschlagnahme allen gewerkschaftlichen Vermögens zu schaffen.
    Nie wieder

    Nie wieder...!

    Welche Faktoren ermöglichten die
    Zerschlagung der Gewerkschaften?

    Erklärungsansatz 1:

    Das Politische Gegeneinander von KPD und SPD

    In den letzten Jahren der Weimarer Republik standen Kommunistische Partei und Sozialdemokraten in scharfer Konkurrenz zueinander. Dieses zerrüttete Verhältnis verhinderte ein gemeinsames Vorgehen nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler. Die KPD-Zentrale hielt den "bürgerlichen Parlamentarismus" nicht für verteidigenswert und betrachtete Hitler als Übergangserscheinung vor der proletarischen Revolution. Die SPD ihrerseits hielt an den Buchstaben der Verfassung fest und verbot ihren Mitgliedern noch im April 1933 die Vorbereitung auf die illegale Arbeit.

    Erklärungsansatz 2:

    Terror = Angst und Schrecken

    Der SPD-Vorsitzende Otto Wels verglich in seiner historischen Rede gegen die Entmachtung des Parlaments am 23. März 1933 die bedrohliche Situation für die Sozialdemokratie mit dem Sozialisten(verbots)gesetz aus den Zeiten Bismarcks.
    Dass Wels diesen Vergleich wählte, bedeutete in der Praxis eine klare Fehleinschätzung der Vorgehensweise der neuen Machthaber. Die Hitler-Bewegung ging nach dem 30. Januar mit einer Brutalität und Entschlossenheit gegen ihre politischen Gegner vor, die bisher in Deutschland nicht gekannte Dimensionen erreichte.

    Erklärungsansatz 3:

    Unternehmer gegen Republik und gewerkschaftlichen Einfluss

    Schon vor dem 30. Januar 1933 fragten Sozialisten und Kommunisten nach den Grundlagen für die Erfolge Hitlers. Wie finanzierte er seine aufwändigen Wahlkämpfe und den wachsenden Parteiapparat? Die nachgewiesene zeitweilige Unterstützung der Hitler-Bewegung durch Ruhr-Industrielle wie Fritz Thyssen, Emil Kirdorf, Friedrich Flick und Paul Reusch sollte nicht zu dem Schluss verleiten, Hitler sei nur ein Strohmann, eine Marionette "der Kapitalisten" gewesen. Besonders Teile der Exportindustrie sahen einer Regierungsbeteiligung der NSDAP eher mit Skepsis entgegen. ... Besonders über das Ziel einer Schwächung des gewerkschaftlichen und sozialdemokratischen Einflusses herrschte weitgehend Einigkeit.
    Erklärungsansatz 4:

    Arbeitslosigkeit und Rüstungskonjunktur

    Arbeitslos zu werden, bedeutete gegen Ende der Weimarer Republik für viele Menschen und Familien den Abstieg in Wohnungslosigkeit, Hunger und Elend. Die Arbeitslosenversicherung sicherte nur für einen Teil der Betroffenen das Überleben; Junge und Alte, die nicht in die Kasse eingezahlt hatten, bekamen keine Unterstützung. Die Hitler-Bewegung 1 versprach Abhilfe und setzte sich in Szene als Helfer in der sozialen Not.* Gerade der Bau der Autobahn hält sich nach wie vor als Legende von der Schaffung von Arbeitsplätzen. Hier wurden jedoch Unterstützungsempfänger zur Zwangsarbeit verpflichtet und mit Hungerlöhnen abgespeist. Der Bau der Autobahnen sollte ausserdem der Kriegsvorbereitung dienen.

    *"...gerade Dich, Arbeiter, wollen wir." Nationalismus und freie Gewerkschaften im Mai 1933, Hans- Böckler-Stiftung in Zusammenarbeit mit dem DGB
    Nie wieder/
    Neonazis

    Nie wieder...!

    Neonazis am 1. Mai

    Auf dem Transparent, das diese Celler Nazis mit sich tragen, wird in abgewandelter Form das Logo der DAF benutzt.

    In den letzten Jahren haben an verschiedenen Orten Neonazis immer wieder versucht, die gewerkschaftlichen Demonstrationen am 1. Mai für ihre Propagandazwecke zu nutzen und sich in nationalistischen Blöcken daran zu beteiligen.

    Sie geben sich antikapitalistisch und versuchen die soziale Frage für ihre nationalistischen Zwecke zu instrumentalisieren.

    So fordern sie z.B.: "Fremdarbeiterinvasion stoppen - Arbeitsplätze zuerst für Deutsche!"

    Mit solchen Parolen versuchen sie den Gedanken der internationalen Solidarität, der den Forderungen der Gewerkschaften innewohnt, zu unterlaufen. Nicht das Kapital wird angegriffen, sondern Einwanderer, die längst Teil der deutschen Gesellschaft sind.

    Systematisch versuchen sie, sich gewerkschaftliche Forderungen zu eigen zu machen, indem sie z.B. Kampagnen unter dem Motto: "Soziale Ausbeutung stoppen! Zeitarbeit ist Sklaverei" veranstalten oder auch einen Mindestlohn fordern.

    Dahinter steht jedoch keine solidarische Politik, sondern Ausgrenzung, da soziale Verbesserungen stets nur für Deutsche gelten sollen. Eine deutsche Volksgemeinschaft wird so beschworen, in der es kein Oben und Unten gibt.
    Nazis brüsten sich oft damit, dass die Nationalsozialisten 1933 den 1. Mai zu einem Feiertag erklärt haben. Was sie jedoch leugnen, ist die millionenfache Verfolgung und Ermordung von Oppositionellen und sogenannten ‚Volksfremden' unter der Diktatur Hitlers. Klassenunterschiede werden zugunsten einer völkischen Ideologie geleugnet. Wer sie thematisiert, gilt als ‚Volksfeind'. Alles, was mit Geld und Finanzen zu tun hat sei kapitalistisch, während Arbeit als ‚deutsche Tugend' idealisiert wird. Die Begriffe ‚raffendes und schaffendes Kapital' werden heute wieder von den Nazis benutzt. Ersteres wird in antisemitischer Weise mit Deutschen jüdischen Glaubens verbunden, während das ‚deutsche Volk' in dieser Vorstellung für ‚das Produktive' zuständig ist.

    Wenn Nazis gerade zum 1. Mai Parolen verbreiten, in denen sie den ‚Kapitalismus' zerschlagen wollen, oder ‚Ausbeutung' stoppen wollen, ist es genau diese völkische Kapitalismuskritik, die hier zum Ausdruck gebracht wird.